Seiten

Sonntag, 25. Januar 2015

Edward Abbey: Die Monkey Wrench Gang

Aus gegebenem Anlass und (grant-)therapeutischen Gründen sei ein Buch aus den Tiefen des Bücherregales gehoben, das leider seit seinem Erscheinungsjahr 1975 nichts von seiner Aktivität und Frische verloren hat. Denn ständig gehen durch Profitgier und Dummheit wertvolle Stücke intakter Natur verloren, mögen das nun Naturräume, Böden, Arten oder ganze Landschaften sein.
Edward Abbey war ein Liebhaber der Wüsten Nordamerikas, ein Schriftsteller und Nationalpark-Feuerwächter. Sein Buch "Die Monkey Wrench Gang" inspirierte die radikale Umweltbewegung, die auch vor Sabotage nicht zurückschreckt. In den USA brachte das die Earth Liberation Front auf die Terrorliste und auch in Österreich Tierschützer unter Verwendung von eigentümlichen Paragrafen vor Gericht.
1975 war also der Grand Canyon Staudamm gebaut, ein Teil des großartigsten Naturdenkmals im Stausee verschwunden und Abbey schickt seine vier fiktiven Helden aus um gegen die Landschaftszerstörer im Westen der USA vorzugehen. Die vier schrulligen Gestalten - ein saufender Vietnamveteran, eine militante Feministin, ein anarchistischer Arzt und ein polygamer Flussführer - sabotieren Baumaschinen und Förderanlagen und sprengen Brücken. Ihr großes Zerstörungsziel ist aber der Hoover Staudamm. Dabei werden sie von einem immer grösser werdenden Heer von Verfolgern gejagt. 
Bis heute sind alle Absichten dieses Buch zu verfilmen im Sand verlaufen, denn wie Eric Schlosser in seiner Einleitung schreibt: man darf Massenmorde in Filmen zeigen, aber die Zerstörung privaten Eigentums stellt immer noch einen Tabubruch in der amerikanischen Gesellschaft dar (und nicht nur dort). Seltsamerweise bringt dagegen die Zerstörung von Allgemeingütern, vor allem wenn sie mit politischer Unterstützung erfolgt, selten jemanden vor Gericht.
PS: Resist much. Obey little. Walt Whitman
PPS: Lasst das Naturdenkmal Hörndlwald unverbaut!

Samstag, 17. Januar 2015

Pierre Lemaitre: Wir sehen uns dort oben

Das Buch beginnt mit einer der letzten Offensiven an der französischen Westfront im ersten Weltkrieg, die das weitere Leben der drei Hauptpersonen grundlegend verändert. Wie alle Offensiven davor ist auch diese vollkommen sinnlos, umso mehr als der Waffenstillstand unmittelbar bevorsteht. Den Offizieren ist das auch bekannt, während die einfachen Soldaten nicht mehr an ein Ende dieses Krieges glauben. 
Mit dem Kriegsende verknüpfen und verlieren sich die Schicksalslinien des ehrgeizigen Leutnants Pradelle und der beiden Freunde Albert und Edouard. Alle drei sind durch ein Geheimnis aneinander gebunden, das wiederum andere Geheimnisse und Lügen gebiert. Pradelle, Albert und Edouard sind passende Hauptfiguren in einem Frankreich, das seine Soldaten vergisst, mögen sie nun tot oder verkrüppelt sein und in dem Macht und Geld die gesellschaftlichen Antriebskräfte sind. Letztendlich sind sich das Frankreich der Schützengräben und das des Friedens nicht so unähnlich, denn einzig das Überleben zählt, zugegeben unter unterschiedlichen Bedingungen.
Nach wirklich sympathischen Figuren wird man in diesem Roman lange suchen, aber alle sind sehr plastisch gezeichnet. Fast möchte man meinen in einer der Zeichnungen des kriegsversehrten Künstlers Edouard gelandet zu sein. Die Geschichte Edouards ist auch gleichzeitig die berührendste dieses Buches. 
Meine persönliche Lieblingsfigur ist ein Inspektor des Pensionsministeriums, ein alter schrulliger Beamter, er könnte einem der Romane von Charles Dickens entsprungen sein. Mit seiner Hilfe nimmt das Buch zusätzliche Fahrt auf und rast seinem grandiosen Ende entgegen.

Samstag, 10. Januar 2015

Lutz Seiler: Kruso

Ein Trakl lesender und vortragender Freitag namens Eduard Bendl trifft seinen Robinson auf Hiddensee. Es ist fast unmöglich diesen Roman von Lutz Seiler in eine knappe Inhaltsbeschreibung zu verpacken, so dicht ist das Muster gestrickt, in sehr deutschen Maschen, denn schließlich spielt es an der Ostsee kurz vor dem Zusammenbruch der DDR.
Der Student Eduard steigt aufgrund eines Schicksalsschlags aus seinem Leben aus und landet  als Tellerwäscher in dem Lokal Klausner auf Hiddensee. Obwohl nicht in der Ich-Form erzählt, haben wir als Leser nur die Eindrücke von Eduard zur Verfügung, dessen Wahrnehmungen noch dazu von einem großen Verlust geprägt sind und daher oft hilflos verloren erscheinen. So tasten wir uns langsam an die außergewöhnliche Belegschaft des Klausner heran; das Ausflugslokal selbst wird manchmal mit einem Boot verglichen. Im Laufe der Erzählung möchte man fast meinen Eduard habe auf der "Pequod" angeheuert um den weißen Wal zu jagen.
Schon habe ich mich verzettelt, denn eigentlich sollte doch von der Freundschaft von Ed(uard) und Kruso(witsch) die Rede sein. Doch wo beginnen? Beim präzisen Ritus des Abwaschens, den Schiffbrüchigen, den wilden Partys der Saisonkräfte, die einen fast religiösen Ablauf und Hintergrund haben? Wie passt die Robinsonade hinein?
Im Laufe dieses magischen Sommers wird sich für Eduard das rätselhafte Umfeld von Hiddensee entwirren und für ihn und für alle anderen eine jähe Wendung nehmen.
Hinter der ans Fantastische grenzenden Inselwelt taucht manchmal die Fratze der DDR-Bürokratie und  -Überwachung hervor, meistens nicht wirklich erschreckend sondern fade: Grenzposten und Drohungen, die ihre Bedeutung verlieren.
Kruso ist ein Buch zum Wiederlesen und wahrscheinlich wird man beim nächsten Lesen eine gänzlich andere Handlung entdecken. 

Freitag, 2. Januar 2015

Helen Macdonald: H is for Hawk

Weder die Falknerei noch autobiographische Trauerbewältigung gehören normalerweise zu meinen bevorzugten Themen. Wider Erwarten ist das Buch von Helen Macdonald, das eben solches verbindet, faszinierend und erzeugt einen Sog, dem man sich kaum entziehen kann.
Nach dem plötzlichen Tod ihres Vaters beschließt die Literaturdozentin Macdonald sich einen lang gehegten Traum zu erfüllen und einen Habicht zu kaufen um ihn für die Falknerei abzurichten. Dabei löst sie sich fast komplett von ihrem sonstigen Alltag, lässt ihre Lehrtätigkeit auslaufen, hat kaum Kontakt zu anderen Menschen und versinkt zusehends in die Welt ihres Greifvogels. Die Trauer über den Tod des Vaters lauert manchmal im Hintergrund und bricht dann doch wieder schmerzhaft hervor.
In das Buch verwoben ist ein Teil der Lebensgeschichte von T.H. White. White war der Autor von "The sword in the stone", einer Nacherzählung der Artussage, die dann von Disney als "Merlin und Mim" verhunzt wurde. T.H. White, der sich ein den 1930er Jahren von seiner Lehrtätigkeit zurückzog um zu schreiben und die Falknerei zu betreiben, ist die ambivalenteste (und auch interessanteste) Figur dieses Buches. Ein psychisch beschädigter, der versucht ein perfekter englischer Gentleman zu sein und sich doch der Rekrutierung für den zweiten Weltkrieg entzieht und auch sonst ein wenig konformistisches Leben führt.
So trainieren Macdonald und White ihre Vögel im Buch parallel, wenn auch in Wirklichkeit zeitlich getrennt, mit recht unterschiedlichen Ergebnissen.
Nach unzähligen getöteten Hasen, Hühnern und Fasanen ist man der Welt der Falknerei ein Stück nähergekommen und wäre doch gleichzeitig froh, wenn der Habicht sich am Ende für die Freiheit entschieden hätte und nicht für den Handschuh seiner Besitzerin.