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Samstag, 25. Oktober 2014

Jean Webster: Daddy Langbein

Seit Jahren bin ich auf der Suche nach dem vergriffenen und seltenen Kinderbuch von Betty McDonald "Hand in Hand der Sonne nach", einer Geschichte von zwei amerikanischen Waisenkindern, die ihr Glück finden. So erfolglos diese Suche auch bisher war, mit Daddy Langbein scheine ich (antiquarisch) etwas ebenbürtiges gefunden zu haben, auch wenn es mehr in die Kategorie Jugendbuch zu passen scheint. Aber da halte ich es mit den Spieleherstellern, die auf ihre Produkte "von 9-99 Jahre" schreiben (die vielen hundertjährigen auf Okinawa müssen wohl oder übel Go spielen).
Daddy Langbein ist ein Briefroman, eine Gattung, der ich schwer widerstehen kann, da sie viel Raum für die eigene Phantasie lässt und selten zur Geschwätzigkeit neigt. Die 18 jährige Waise Jerusha Abbott wird von einem unbekannten Gönner auf ein Elite-College geschickt, mit der einzigen Auflage ihm monatlich einen Brief über ihre Erlebnisse und Fortschritte zu schreiben. Alle Korrespondenz ist an "John Smith" gerichtet und läuft über seinen Sekretär.
Da Jerusha originell und gleichzeitig ein literarisches Talent ist, quellen diese Briefe über vor Humor und Gefühlen, die von Einsamkeit bis unbändiger Freude reichen und einen frischen Blick auf die Welt ermöglichen. 1914 geschrieben entdeckt man leichte Anflüge von Feminismus und eine zutiefst demokratische Gesinnung.
Im Laufe der vielen Briefe entwickelt sich der Gönner in der Anrede vom "Aufsichtsrat" zum "Daddy" und die junge Waise zu einer Frau. Der Reiz dieses schmalen Bandes ist sicher der Blickwinkel von Jerusha Abbott auf ihre reichen Kolleginnen im College, deren Leben und Familien. Es fehlt jegliche Bitterkeit und so schmunzelt man sich bis zum "überraschenden" Ende, das keineswegs ein solches ist. 

Donnerstag, 16. Oktober 2014

Petra Hartlieb: Meine wundervolle Buchhandlung

"Die Zeit" initiiert gerade eine Aktion, die 1Buch1Satz heißt; Leser sollen in einem Satz die Handlung ihres Lieblingsbuches twittern. Nicht, dass ich ein großer Fan des Twitter-Universums wäre, aber die Idee einen Roman auf einen Satz einzuköcheln ist bestechend.
Das Buch von Petra Hartlieb könnte auf einen solchen Satz reduziert werden: 
Extrovertierte Lektorin kauft sich und ihrer Familie eine (zu) kleine Buchhandlung, leidet daraufhin wie ein Schwein, ist aber erfolgreicher als dasselbe.
Die Leiden und Freuden der frischgebackenen Buchhändler - denn auch der beteiligte Mann soll nicht verschwiegen werden - sind in heiterem Ton beschrieben. Immer wieder wurde ich an den Schreibstil des Bergsteigers und Hobbyarchäologen Charly Lukan erinnert, auch wenn es sich hier nur um Bücherberge dreht. Die allerdings wachsen beständig, ebenso der Kundenstock, und so ähnelt die Buchhändlerin oftmals dem Zauberlehrling, der vergebens dem Besen Einhalt gebietet.
Nicht nur das Buch, sondern auch die Buchhandlung selbst versprüht einen Charme (bookish würden die Briten sagen), fern von den lieblosen Bücherstapeln eines Thalia oder der grantelnden Atmosphäre der Buchhandlungen meiner Jugend. 

Montag, 13. Oktober 2014

David Mitchell: The Bone Clocks

Wie soll man einen Roman des Lieblingsschriftstellers verreißen? 
Umhüllt man den Vorschlaghammer der Kritik mit Watte oder nähert man sich mit im Umhang verborgener spitzer Feder wie die Attentäter Cäsars? Wie es auch richtig sein mag, ich muss festhalten, dass mir das neue Buch von David Mitchell nicht gefallen hat. Auch wenn die Rezensionen von einem Opus Magnum sprechen.
Der englische Verlag hat die grauenhafte Umschlaggestaltung zu verantworten: Auf dem 700- Seiten-Ziegel fliegen rosa Vögel an Spinnen, Uhren, aufgefalteten Stiegen und Taschenlabyrinthen vorbei.
Drinnen schein alles beim Alten zu sein: Mehrere Geschichten - durch einen dünnen roten Faden verbunden - bilden den typischen Mitchell-Roman, der im strengen Sinn auch eine Sammlung von Novellen sein könnte. Auch die Erzählkraft des Autors scheint ungebrochen und man taucht mit der ersten Erzählung in das England Margaret Thatchers ein, in dem die pubertierende Holly Sykes aus ihrem Elternhaus fortläuft. Doch schon bald schleichen sich übernatürliche Wesen in das Geschehen ein und das Wort "schleichen" ist eine Untertreibung. Sie reißen Löcher in die Geschichte und sind nicht wie bei Neil Gaiman deren Bestandteil, sondern Fremdkörper. Zusätzlich zu den wechselnden Ich-Erzählern gerät das Buch dadurch in eine Schieflage (die man einem kürzeren Roman verzeihen würde) und kentert. Vielleicht hätten Kürzungen geholfen, aber sichtlich scheint man das bei einem erfolgreichen Autor nicht mehr für notwendig zu erachten.

Samstag, 4. Oktober 2014

Tom Rachman: Aufstieg und Fall großer Mächte

Auch wenn der Titel an den klassischen historischen Wälzer "The history of the decline and fall of the Roman Empire" von Gibbons erinnert, den unzählige britische Reiseschriftsteller in ihren Rucksäcken durch die Weltgeschichte schleppten, sind die Mächte in diesem Buches privater Natur und der Autor verbirgt sie in einer Zauberkiste von einem Roman.
Die erste Lade der Zauberkiste zeigt die junge Buchhändlerin Tooly Zylberberg, die ein Antiquariat in einer verregneten walisischen Ortschaft betreibt. Die Erfolglosigkeit ihres Geschäftes scheint sie nicht weiter zu stören, denn es ermöglicht ihr das Lesen im Hinterzimmer. Da wäre dann noch Fogg, das schwadronierende Faktotum der Buchhandlung, mit Vorliebe für Cappuccino und für die Kellnerin in seinem Stammcafé.
Kaum hat man sich in der Lade zurecht gefunden und gemütlich gemacht, öffnet der Autor eine neue, reist in Toolys Vergangenheit und zum Rätsel ihres Lebens. Lade für Lade wird aufgezogen und vor den Augen der Leser wieder geschlossen. Rachman schwingt seinen Zauberstab, enthüllt doppelte Böden, weiße Kaninchen in Form von schachspielenden Eigenbrötlern, Tauben, die entfleuchen und sich doch wieder in der Kiste einfinden. Tooly Zylberberg stolpert durch ihr Leben auf der Suche nach demselben.
Im Verlauf der Erzählung verzerren sich die Figuren wie in gebogenen Spiegeln und auch Tooly muss ihr Selbstbild überdenken. Was sich nach Taschenspielertricks anhört, ist oft herzzerreißend geschrieben und perfekt inszeniert. Wie ein großer Magier lässt der Autor den Leser staunend zurück und man fragt sich, wie ihm dieses Kunststück gelungen ist.