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Montag, 22. September 2014

Uwe Timm: Vogelweide

Ich war guten Willens dieses Buch zu mögen, da ich schon zwei gute Bücher von Uwe Timm gelesen hatte: "Die Entdeckung der Currywurst" und "Rot".
Selbst der Titel und die Ausgangssituation, in der ein gescheiterter Mittfünfziger auf einer naturgeschützten Insel im deutschen Wattenmeer Vögel beobachtet und zählt, hätte mich normalerweise angesprochen. Das klang wie eine Kombination aus Nature Writing und Eremitendasein. Das philosophische Hadern mit der Vergangenheit des Ich-Erzählers störte mich auch nicht weiter. 
Nur das elfte Gebot hätte nicht gebrochen werden sollen: Du sollst Deinen Leser nicht langweilen! Wenn man sich während des Lesens überlegt, wie viele Seiten man noch vor sich hat und man dabei von einer Welle der Langweile überschwemmt wird, hat man zwei Möglichkeiten; man schlägt das Buch sofort zu (in meinem Fall auf Seite 183) oder gesteht dem Autor zumindest das Lesen der letzten zwei Seiten zu (was ich nicht tat).
Die in Rückblenden erzählte Geschichte von zwei Paaren, die sich in Affären verstricken, deren Leben von ihren Berufen bestimmt sind und die fast kritiklos konsumieren (Immobilien, Wein, essen, Kunst und den anderen) bleibt farblos und distanziert. Was das mit Vogelbeobachtung zu tun hat? Lesen Sie selbst, ich kann es Ihnen nicht sagen.

Mark Mills: The Whaleboat House

Geographisch bringt mich diese Lektüre ein bisschen weiter weg von Brooklyn, aber wie das Wort "bisschen" impliziert, nicht sehr viel. Die Geschichte spielt zwei Jahre nach dem zweiten Weltkrieg nicht in, sondern vor der Stadt New York, genauer gesagt auf Long Island.
Der aus dem Baskenland stammende Fischer Conrad Labarde fischt die Leiche einer jungen Frau aus dem Atlantik und löst damit für sich und andere eine Kettenreaktion aus. Mills hat einen vielschichtigen Krimi um das Geheimnis der Ertrunkenen geschrieben, der von der eingeschworenen Gemeinschaft der Fischer, den ältesten Einwandererclans und auch den dort ansässigen Reichen erzählt.
In vielen Rückblenden erfährt man von der Vergangenheit des Basken und dem Grund für sein Interesse an dem Todesfall. Auch der Polizist Tom Hollis nimmt Witterung auf, die reichlich stinkt und zwar nicht nur nach Fisch und ungewaschener Arbeitskleidung.
Der strenge Geruch kommt aus den Ghettos der Reichen, die in Klubs und abgeschotteten Anwesen ihre eigene Welt kreieren. Mehr darf hier nicht verraten werden, denn der Roman ist bis zum Schluss spannend und die Spürhunde gefährdet.

PS: Dieses Buch wurde in deutscher Sprache als "Netz der Lügen" und "Amangansett" herausgebracht. Beide Bücher scheinen zur Zeit leider vergriffen zu sein. Schade!


Dienstag, 16. September 2014

Christopher Morley: Das Haus der vergessenen Bücher

Schon wieder Brooklyn, aber diesmal im November des Jahres 1918 und eigentlich spielt alles in einem Antiquariat, das ein schrulliger Buchhändler samt Frau und Hund betreibt und bewohnt. Der Roman ist schwer einzuordnen: Ist es ein Lob auf den Buchhandel, eine Auflistung (zu) selten gelesener Bücher und Autoren, mehrere Essays von Handlung unterbrochen oder eine Spionagegeschichte?
Die Stimmung erinnert an einen altmodischen Film aus den 40iger Jahren, mit ausufernden Dialogen, sympathischen Darstellern und klassischen Bösewichten. Ein Buch für einen verregneten Nachmittag (leicht zu finden in diesem Jahr, das ein einziger Spätherbst war), genossen mit einer Kanne Tee und Butterbroten (denn es wird in der Geschichte ebenso oft gegessen, wie dieselbe unterbrochen oder Pfeife geraucht).
Das Antiquariat Parnassus ist jedenfalls das gelobte Land für jeden Bibliomanen. Es ist vollgestopft mit den seltensten und seltsamsten Büchern, in denen man stundenlang schmökern darf. Der Buchhändler Roger Mifflin empfiehlt seinen Kunden Bücher wie ein Apotheker Medikamente. "Geistige Unterernährung ist ein ernstes Leiden. Wir haben die richtige Medizin für Sie!" Wie eine Spionagegeschichte hier hineinpasst? Lassen Sie sich überraschen!
Gegen Ende hat man die Figuren lieb gewonnen und man hofft die Buchhandlung Parnassus mit ihrem menschlichen Inventar hinter der nächsten Hausecke zu finden.
Ich hätte mich nicht so über Vorworte beschweren sollen, denn hier fehlt es eindeutig. Von mir aus könnte es auch ein Nachwort sein, das erklärt wer der literarische Hans Dampf -Christopher Morley, der dieses Buch im Jahr 1919 schrieb, eigentlich war. Also lieber Verlag, nehmen Sie sich ein Herz und einen guten Schreiberling für diese Aufgabe!   

Samstag, 13. September 2014

Colm Toibin: Brooklyn

Colm Toibin ist der Meister der leisen Töne!
Ich kenne wenige Autoren, die selbst den alltäglichen Vorgang des Ankleidens so beschreiben können, dass daraus ein wirkungsvolles Stimmungsbild entsteht. (Nabokov und Doderer ausgenommen)
Es sind diese leisen Töne, die die Geschichte der Eilis Lacey skizzieren. Eilis ist eine junge Irin, die in den ökonomisch schwierigen Zeiten nach dem zweiten Weltkrieg in die Vereinigten Staaten auswandert. Toibin beschreibt die einfachen Menschen des kleinen Dorfes in Irland und die gesellschaftlichen Zwänge, denen sie ausgesetzt sind. Man begleitet Eilis auf der Überfahrt, in die erste Einsamkeit der Emigration und leidet und freut sich mit ihr (hauptsächlich über Kleinigkeiten). Der Leser stolpert mit ihr durch Brooklyn lernt ihre Nachbarn und Kollegen kennen und die enge irische Gemeinschaft, die doch nicht so zwanghaft ist wie die ihres Heimatdorfes. 
Obwohl der Autor sehr detailreich beschreibt, liegt ein milchiger Schimmer über den meisten Szenen, der die oftmalige Verwirrtheit der jungen Frau widerspiegelt. Es gibt keine lauten Dramen oder jähe Wendungen. Es herrscht vielmehr eine Melancholie und Schicksalsergebenheit in diesem Roman vor, der gegen Ende hin ein vollständiges Bild entworfen haben wird und seine Heldin zu einer Entscheidung zwingt.

PS: Das mag nach Frauen-Literatur klingen, aber gibt es so etwas? Gibt es Malerei für Frauen?
PPS: Toibins Roman über Henry James ist auch eine unbedingte Leseempfehlung.

Donnerstag, 11. September 2014

Zachary Mason: Die verlorenen Bücher der Odyssee

"Sage mir, Muse, die Taten des vielgewanderten Mannes,
 welcher so weit geirrt, nach der heiligen Troja Zerstörung,..."
Die verlorenen Bücher der Odyssee sind 44 Gesänge ohne Gesang, 44 Geschichten mit den bekannten Helden des Trojanischen Krieges, 44 Variationen von den Irrfahrten des mehr oder weniger listenreichen Odysseus.
Man ist seit Italo Calvino den Roman, der aus verschiedenen (scheinbar) zusammenhanglosen Geschichten besteht, gewohnt. (Calvinos Roman "Wenn ein Reisender in einer Winternacht" sollte man unbedingt lesen!!) Aber selbst Calvino spinnt doch feine Fäden um den Roman zu binden und den Leser zu verstricken.
Zachary Mason spinnt zwar viel Garn, düsteres und schicksalhaftes Garn; die Fäden flattern aber zusammenhanglos im Wind. Wer kürzeste Kurzgeschichten und Sagen mit schrägen Helden mag, wird sich die Fäden selbst zusammenknoten, die, man muss es betonen, sehr kunstvoll gesponnen sind. 
Ich präferiere den Roman doch lieber fertiggewebt, mag das Muster auch unruhig sein und Löcher aufweisen, habe ich doch ein einzelnes Werk vor mir und nicht 44, die eines sein wollen und es doch nicht sind.

Freitag, 5. September 2014

John Harding: Florence & Giles

Wie viel darf man von der Handlung eines spannenden Thrillers verraten?
Dass es kein herkömmlicher Thriller, sondern ein Schauerroman ist, durchaus.
Dass es sich um ein Geschwisterpaar dreht, das von ein paar Dienstboten betreut in einem alten vernachlässigten Landhaus in Neuengland lebt, scheint auch noch zulässig.
Habe ich erwähnt, dass es sich bei den Geschwistern um Kinder handelt?
Die restlichen Hinweise dürfen aber nur noch der düsteren Atmosphäre gelten, der wunderlichen Sprache der jugendlichen Erzählerin und der Warnung vor dem Finale, bei dem man sich lesend fragt, warum man eigentlich mit dem Nägelbeißen aufgehört hat.
Leser der Romane des 19. Jahrhunderts werden die Vorlage für dieses Buch schnell erraten und ebenso rasch merken wie sehr sich die Handlungen unterscheiden. Nur die Zutaten und Requisiten sind ähnlich und das Unbehagen, das einen nach Beendigung des Buches heimsucht.