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Sonntag, 31. August 2014

Richard Flanagan: The Narrow Road to the Deep North

Der Titel des Romans nimmt Anleihe an dem Reisetagebuch "Auf schmalen Pfaden durch das Hinterland" des japanischen Poeten Basho, der im 17. Jahrhundert dichtend durch Japan wanderte. Richard Flanagan ist nun nicht gerade für Haikus bekannt und so ist der Anknüpfungspunkt an Basho die  japanische Armee, die die alliierten Kriegsgefangenen im zweiten Weltkrieg zwingt eine Eisenbahnlinie durch den Dschungel von Siam nach Burma zu bauen.
Flanagan erzählt in teilweise wilden Zeitsprüngen die Geschichte einer Einheit von australischen Kriegsgefangenen, des Militärarztes Dorrigo Evans und auch der japanischen Soldaten. Handlungsfäden verbinden sich zu Strängen und dröseln sich auch wieder auf. Das scheint auf den ersten Augenblick wirr zu sein, entpuppt sich aber als richtige Methode von dem schier endlosen Leiden und Sterben zu erzählen. Und gestorben wird in diesem Roman - im Schlamm des Dschungels, in den Lazaretten, auf den Appellplätzen und auch zuhause. Man möchte beim Lesen wegschauen können und muss doch weiterlesen.
In diesem Roman ist der Erzähler zwar allwissend und sprunghaft, doch bietet er keine moralische Sicherheit oder Parteinahme an und so bleibt es dem Leser überlassen mit den Figuren mitzuleiden, mitzufühlen und die Ereignisse zu bewerten - falls das in irgendeiner Form möglich ist.
Auch wenn die bisherige Schilderung deprimierend klingt; das Buch ist es nicht. Zu sehr ist der Roman von Lyrik und den grandiosen Charakterstudien der Protagonisten durchdrungen.
PS: Das Buch ist bisher nur auf Englisch erschienen, aber es gibt zwei sehr gute (ins Deutsche übersetzte) Romane dieses Autors:"Goulds Buch der Fische" und "Mathinna".
PPS: Ich habe eine Liebesgeschichte in der Handlung verschwiegen, das Hervorkehren überlasse ich den Marketingstrategen des Verlages...

Mittwoch, 27. August 2014

Rene Laporte: Hotel Solitude

Vorworte sind Fluch oder Segen; manche lesen sich besser als das Buch selbst, während andere wie der Grießbrei rund um das Schlaraffenland als Hindernis vor dem eigentlichen Roman liegen. 
In diesem Fall glaubte ich das Grießkoch -wie man in Wien sagt- mit dem Vorwort schon gegessen zu haben. Ich erfuhr in diesem wenigstens, dass Rene Laporte 1954 zu jung starb, für die Résistance arbeitete und sein Haus in Antibes ein sicherer Hafen für Verfolgte im Frankreich des zweiten Weltkriegs war.
Die melancholische Tristesse des Vorwortes zieht sich aber in den Roman hinein, in dem ein einsamer Lebemann in einem einsamen Hotel eine einsame, aber (Achtung, Spannungssteigerung!) verheiratete Frau trifft.
Das Hotel liegt auf einer Anhöhe über Monte Carlo und schlummert im Jahr 1942, in dem die restliche Welt im Krieg stirbt und leidet, gästelos vor sich hin. Vielleicht ist die Stimmung des Romans dem Klima des Vichy-Regimes geschuldet, das wie ein bedrückender Schleier über den Personen hängt. Der Krieg findet nur in Andeutungen von Polizei und Schwarzmarkt Widerhall. Ein paar Mal nimmt die Handlung Fahrt auf, etwa in einer "Dinner for one"-ähnlichen Szene, ansonsten schlurft man mit den Protagonisten durch das Hotel, ins Kasino oder durch das Dorf an der Cote d´Azur.
Das alles ist sehr poetisch geschrieben,aber mich überkam nach dem Lesen, wie auch nach dem Essen von Grießkoch, ein unbändiger Appetit auf eine Salzgurke!

Samstag, 23. August 2014

Vladimir Nabokov: Erinnerung, sprich

Zugegeben, dieses Buch ist nicht der einfachste Einstieg in das Werk von Vladimir Nabokov. (Also schnell "Pnin" oder "Die Gabe" besorgen!) Auch will man in vielen Fällen gar nicht zuviel vom Privatleben seiner Lieblingsautoren wissen.
Nabokov verschont uns aber mit der Aufzählung seiner seelischen und körperlichen Leiden oder langweiligen Schilderungen des Alltags, sondern breitet einen Zauberteppich für seine Leser aus und hält ihn mit prägnanten Beschreibungen gefangen. Aus Erinnerungsfetzen und verloren geglaubten Gefühlen baut er ein mosaikartiges Bild seiner Kindheit und Jugend in Russland und der Zeit der Emigration in Deutschland und Frankreich nach der russischen Revolution.
Wer das berühmte Kapitel 6 über das Sammeln von Schmetterlingen gelesen hat, wird wohl nie wieder achtlos an einem Schmetterling oder Falter vorbeigehen. Heutzutage sammelt man natürlich keine Schmetterlinge mehr, genauso wenig wie man Großwild schießt (ein paar seltsame Leute ausgenommen). Nabokov war sowohl besessen von Schmetterlingen als auch ein Synästhetiker, der in Buchstaben und Worten Farben hören konnte - ähnlich wie meine Mutter, die findet, dass Rosemarie und Monika die gleiche Farbe haben. Beide Namen sind für sie rosa. Für Nabokov hat das lange a des englischen Alphabets die Farbe verwitterten Holzes und das k ist heidelbeerfarben.
So liest man dieses Buch auch mit allen Sinnen und spürt die Kälte auf den Pferdeschlitten im Winter und riecht die Blumen und Futterpflanzen der Schmetterlinge auf seinen Streifzügen im Sommer.
Nabokov ist kein Autor mit dem man sich zu einem Kaffee verabreden möchte, aber einer in dessen (untergegangenen) Welt man gerne lesend lebt.

PS: Das gelesene Exemplar ist Band XXII aus den gesammelten Werken Nabokovs, das ich in der kleinen und berühmten Buchhandlung Felix Jud in Hamburg erstand, deren Buchbestand mehr den Geschmack des Besitzers widerspiegelt als den der Bestsellerlisten und Literaturbeilagen der Zeitungen.